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"ums ganze..."-Kongress

Vorbereitungstext zum Kongress

Was ist praktischer Sozialismus?

„Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst“(MEW 25, 260).

Das heißt: Die für die kapitalistische Produktion Überschüssigen besitzen dennoch Arbeitskraft und könnten gemeinsam arbeiten. Denn auch die durch die technologische Entwicklung moralisch verschlissenen Produktionsmittel könnten von ihnen noch als Arbeitsmittel verwendet werden. Und würden die Güter auch über dem Durchschnitt gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit produziert,so könnten sie dennoch Bedürfnisse befriedigen.

Das alles sind mögliche Produktivkräfte für den Aufbau des Sozialismus noch im Kapitalismus! (Und gegen das „Wertgesetz“ als faule Ausrede.)

Hingegen ist die wahre Schranke des „Sozialismus in einer Klasse“ nicht er selbst, sondern seine Vermittlung durch den bürgerlichen Staat.

Die Sozialtransfers, Tarife und Mindestlöhne beschränken zwar die Konkurrenz unter den Arbeitskräftebesitzer, aber nur deren einheitliche Selbstorganisation könnte die Konkurrenz ganz aufheben.

Die Strategie der Selbstorganisation wären demgemäß Arbeitskämpfe mit dem Ziel der Übernahme der bestreikten Betriebe und genossenschaftliche Produktion in selbstorganisierten Betrieben mit dem Ziel der mittelbaren und unmittelbaren Unterstützung der Arbeitskämpfe.

Was kann die Linke tun?

Die Linke könnte diesen praktischen Sozialismus antizipieren und initiieren, denn auch die Existenz der Linken als politischer Zusammenhang hat materielle Voraussetzungen.

Das gemeinsame Interesse an der Selbstorganisation dieser Existenzbedingungen könnte Ausgangspunkt und Grundlage einer antisektiererischen politischen Kultur innerhalb der Linken sein und wäre zugleich definitive Grenze gegenüber objektiv liquidatorischen Positionen.

Antisektiererisch sein ist etwas anderes als Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Im Gegenteil: die Diskussion auf Grundlage eines gemeinsamen Interesses ist ein Selektionsprozess des besseren Arguments auf der Suche nach dem besten Mittel für den gemeinsamen Zweck und verlangt daher nach Transparenz und Offenheit der Widersprüche. Auf der anderen Seite müssen eben deshalb Obskurantismus, Vernunftfeindlichkeit und Manipulation innerhalb der Linken konsequent bekämpft werden.

Der Aufbau einer gemeinsamen unabhängigen Infrastruktur einer antisektiererischen Linken könnte über einen erweiterten „Arbeitsfeld-Ansatz“ multifokal expandieren.

Der Arbeitsfeld-Ansatz des „sozialistischen Büros“ bestand in der Organisierung nach Berufs- und Tätigkeitsfelder, um die auf der Vereinzelung gründende Schizophrenie zwischen politischer und bürgerlicher Existenz tendenziell aufheben zu können.

Diese Strategie eines praktischen Sozialismus ermöglicht prinzipiell auch, über die Subversion des Staatsapparates und der Bewusstseinsindustrie, die Prävention der zu erwartenden Konterrevolution.

Darum: Warum warten? Den Sozialismus aufbauen!

Beitrag auf dem Kongress

Genossinnen und Genossen,

Wie kann die schizophrene Trennung zwischen revolutionärem Bewusstsein und bürgerlicher Existenz aufgehoben werden?

Auf diese Frage antwortete das Offenbacher sozialistische Büro zur Zeit des einsetzenden sektiererischen Verfalls der antiautoritären Revolte mit dem "Arbeitsfeldansatz".

Nach diesem Ansatz organisieren sich ansonsten voneinander isolierte Gruppen und vereinzelte Genossen und Genossinnen in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern, die sowohl Berufsfelder innerhalb des kapitalistischen Produktionsprozesses, wie auch Tätigkeitsfelder im Qualifikations- und Reproduktionsbereich der Arbeitskraft sein konnten.

Das sozialistische Büro sammelte die vereinzelt gemachten Erfahrungen mit den besonderen Widersprüchen des jeweiligen Arbeitsfeldes und verallgemeinerte sie durch deren Veröffentlichung.

Auf Tagungen konnte die dadurch ermöglichte koordinierte politische Praxis im jeweiligen Arbeitsfeld weiter abgestimmt werden.

Warum ist dieser Ansatz aktuell?

Die unorganisierte Linke unterliegt einem sozialen Prozess in dem sie ihr unglückliches Bewusstsein zunehmend dem bewusstlosen Unglück der Masse der Proletarisierten entfremdet.

Real reproduziert sie in ihrem Beruf und in der Weise, wie sie ihre Arbeitskraft reproduziert ebenso die herrschenden Verhältnisse wie die Masse der Proletarisierten, von der sie in dieser Hinsicht nichts unterscheidet. Ihr theoretisches Bewusstsein artikuliert sich außer im Konsum bestimmter Güter noch in einer Subkultur, der Gemeinschaft kritischer Konsumenten und von Konsumenten der Kritik.

Die Subkultur ist allerdings nicht subversiv, sondern Ausdruck eines gelungenen Arrangements, denn um subversiv sein zu können, müsste in ihr ein Moment der Gegenkultur enthalten sein, das nur in der bewussten Auseinandersetzung mit der hegemonialen Kultur und ihrer Basis in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zu gewinnen wäre. Dazu aber müsste die Subkultur selbst Moment des Klassenkampfes sein anstatt diesen vielmehr zu ersetzten.

Die linke Subkultur, aber darin soziologisch wie jede andere muss die Normen und Gruppendynamiken jener anderen Hälfte des Lebens, die sie kompensieren helfen soll wiederholen und karikieren.

Die Folgen dieser Trennung für die Theorie

sind eine tendenzielle Massenverachtung als Kompensation der ohnmächtig erfahrenen Isolierung von den Massen eben gerade durch das theoretische Bewusstsein,

und ihre tendenzielle Dogmatisierung, der Ausbau der Theorie zur Ersatzwirklichkeit als Kompensation realer Ohnmacht den herrschenden Verhältnissen gegenüber, Sektiererei.

Aber auch der diesen ohnmachtsperpetuierenden Tendenzen entgegenwirkende und darum aktuelle Arbeitsfeldansatz müsste ergänzt werden um den positiven Inhalt der antisektiererischen Tendenz.

Antisektiererisch ist nicht das größtmögliche Bündnis auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern die freie Diskussion.

Eine freie Diskussion ist unmöglich unter den Vertretern antagonistischer Interessen, eine solche Diskussion ist eine Rhetorikschlacht, manipulatives Geschwätz.

Geschwätz ist aber auch eine Diskussion, die in einem Rahmen geführt wird, in dem sie keine Resultate mit realen praktischen Konsequenzen zeitigen kann.

Freie Diskussion ist nur möglich auf der Grundlage eines gemeinsamen Interesses. Dann aber ist sie tatsächlich, was sie unter anderen Voraussetzungen nur zu sein vorgeben kann, ein Selektionsprozess des besseren Arguments.

Dieser Prozess ist auf der Suche nach dem geeignetsten Mittel zur Verwirklichung des gemeinsamen Interesses ebenso unerlässlich, wie das Instrument der Verwirklichung selbst.

Auch die Artikulation der Widersprüche in der Auffassung was das gemeinsame Interesse sei, gehört selbstverständlich in die freie Diskussion.

Was könnte die unorganisierte Linke für ein gemeinsames Interesse haben?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Die Selbstorganisation, die kollektiv selbstbestimmte Verfügung über die materiellen und infrastrukturellen Existenzbedingungen der unorganisierten Linken als sozialer und politischer Zusammenhang und deren erweiterte Reproduktion.

Das Gegenteil der Selbstorganisation ist die Fremdbestimmung des linken Zusammenhangs durch nicht inhaltliche, ihm äußerliche Zwecke, sein es die des meinungsbildenden Akademikers und Autoren mit seinen besonderen berufsbedingten Rücksichten, sein es die kommerziellen Zwecke linker Verlage und Zeitungen oder die Interessen an politischer Einflussnahme seitens öffentlicher und parteipolitische Förderer.

Was heißt radikale Kritik organisieren?

Zu allererst die Selbstorganisation ihrer materiellen und infrastrukturellen Voraussetzungen.

Um diese Selbstorganisation ergänzt, könnte im neuzugründenden sozialistischen Büro auf Grundlage der besonderen politischen Erfahrungen eine freie Diskussion über die strategische Vermittlung der verschiedenen Arbeitsfelder geführt werden, die in ihrer Gesamtheit mit ihrer Ausweitung zum Spiegel des "gesellschaftlichen Gesamtarbeiters" tendieren.

Innerhalb dieser gemeinsamen Strategie schließlich könnten die verschiedenen politischen Arbeitsfelder integriert und die in ihnen tätigen Gruppen von Genossinnen und Genossen als Fokusse fungieren.

Das Hans-Jürgen-Krahl-Institut hat mit dem "praktischen Sozialismus" einen solchen Stategievorschlag zur Diskussion gestellt, der jedoch nicht voreilig mit dem Vorschlag zur Neugründung eines sozialistischen Büros identifiziert werden sollte, sind doch beide Vorschläge ihrem Charakter nach verschieden.

Die Realisierung der zwei Bedingungen für die selbstbewusste Produktion von Produktionsverhältnissen und Verkehrsformen durch die unmittelbaren Produzenten, die Marx und Engels Kommunismus nennen, die Aneignung der Produktionsmittel als Voraussetzung für deren kollektiv selbstbestimmten Verfügung und die sachliche Qualifikation der unmittelbaren Produzenten zu gesellschaftlicher Selbstverantwortung, ist nur als "wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt", als dialektischer Prozess von gesellschaftlicher Umstands- und Selbstveränderung sinnvoll denkbar.

Dieser Prozess verläuft in der Parallelität einer Subversion bestehender Institutionen und dem Aufbau der menschlichen Gesellschaft noch innerhalb der alten.

Kern dieses Prozesses im Modell des praktischen Sozialismus ist die fortschreitende Enteignung und Sozialisierung der kapitalistischen Produktion noch im Kapitalismus.

Der praktische Sozialismus hat drei Merkmale.

Zum einen die einheitliche Organisation von Arbeitslosen und Lohnarbeitern.

Diese Einheit manifestiert sich einem gemeinsamen Fonds und einer demokratischen Entscheidungsstruktur, über deren Beschaffenheit noch zu sprechen sein wird.

Das zweite Merkmal ist die Produktion der Arbeitslosen in einem Kooperativsystem der Einheitsorganisation und

das dritte der Kampf der Lohnabhängigen perspektivisch um die Übernahme ihres kapitalistischen Betriebes ins Kooperativsystem.

Näher auf das dialektische Verhältnis dieser drei Momente einzugehen fehlt hier die Zeit.

Wichtig ist noch, dass auch wenn der Prozess der Aneignung der Produktionsmittel taktisch sicher nicht von den Kernbereichen ausgehen kann, sondern mit der Subversion von Untersystemen insbesondere des Reproduktions- und Ausbildungsbereiches und mit der Sozialisierung von Kommunikationsmitteln seinen Anfang nehmen wird, so ist er doch in jedem Falle auf eine Entscheidungsstruktur angewiesen, die ihm die größtmögliche Reaktionsfähigkeit gewähren kann.

Dazu müsste die Rätestruktur selbst dynamisiert werden.

Die einzelnen Elemente der Struktur, ihre einzelnen Module - man denke zur Veranschaulichung an Legosteine - müssten spontan Rätevereinigungen bilden können, die dem Stand in der äußeren Entwicklung der Sozialisierungen und dessen Anforderungen in einem strategischen Sinne gerecht werden können.

Nichts weniger als die Umstellung des auf Kapitalverwertung ausgerichteten bürgerlichen Wissenschaftsbetriebes auf den Zweck der Qualifikation zu gesellschaftlichen Selbsttätigkeit wäre hierfür Voraussetzung.

Ich kann zu diesem Fragenkomplex hier nur auf unser Vorwort zur zweiten, erweiterten Neuauflage unserer Broschüre "Praktischer Sozialismus" verweisen.

Die – wie gesagt – unser Beitrag zu einer Strategiedebatte ist, von der die Bedingungen zu ihrer Möglichkeit erst noch zu schaffen wären.
Aufnahme der Veranstaltung: